Mai 2022

Geopolitische Dominoeffekte treffen Immobilien

Russisch Roulette für das Finanzsystem: Zunehmende Instabilität im Finanzsystem schafft neue Risiken für den deutschen Immobilienmarkt. Der Krieg hat Rohstoffpreise explodieren lassen und die Londoner Metallbörse LME im internationalen Handel erschüttert. Experten fürchten ein Übergreifen auf das Bankensystem, sofern sich einige Dominoeffekte sukzessiv verstärken.

Die geopolitischen Folgen des Krieges sind schwer vorherzusagen, aber wir stehen wahrscheinlich vor den größten Veränderungen seit 30 Jahren“, sagte Nicolai Tangen bei einer parlamentarischen Anhörung in Norwegen im Mai 2022. „Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die zunehmenden Reibungen zwischen den Supermächten und eine Umkehrung der Globalisierung die Märkte massiv beeinflussen werden“, führt der Chef des norwegischen Pensionsfonds weiter aus.

Addiert man den Wert aller Bodenschätze, steht Russland mit einem Wert von 75 Billionen Dollar an der Spitze aller Länder. Kein Wunder, dass Wladimir Putin‘s Feldzug gegen die Ukraine und die westlichen Russland-Sanktionen den Commodity-Markt ins Chaos gestürzt haben. Anfang März erfolgte ein Preissprung von 30.000 auf 100.000 US-Dollar innerhalb weniger Stunden an der Londoner Metallbörse LME. Dieser Preissprung ist beispiellos in der 145-jährigen Geschichte des Handelsplatzes. Es traf damit auch den Rohstoff Nickel. Ein für die Produktion von Batterien für Elektroautos wichtiges Metall. Der LME-Chef Matthew Chamberlain hat deshalb den Handel mit Nickel kurzfristig gestoppt und bereits abgeschlossene Geschäfte in Milliarden storniert.

Eine potenzielle Schwachstelle hat Andrew Bailey, Governor der Bank of England, bereits ausgemacht: Der Stress, der sich vom Rohstoffgeschäft auf das Finanzsystem zu übertragen droht. "Wir schauen uns das sehr genau an", sagt der Chef der britischen Zentralbank. Experten befürchten nun ein Übergreifen auf das Bankensystem. Denn Unternehmen, die mit Rohstoffen handeln, brauchen wegen der explodierenden Preise mehr Kapital. Vielen Banken wird die Finanzierung der Rohstofffirmen aber zu spekulativ. Wenn jedoch die Commodity Trader ihre Liefer- oder Abnahmeverträge nicht mehr einhalten können, drohen den Banken Kreditausfälle im Milliarden-Bereich - im Extremfall je Handelshaus.

Bisher ist die Invasion in die Ukraine nur in einem überschaubaren Ausmaß auf das Finanzsystem übergeschwappt. Die Preise für Kreditausfallversicherungen (CDS) von Banken etwa, mit denen sich Investoren gegen mögliche Zahlungsausfälle der Institute absichern, sind von ihren Höchstständen weit entfernt. Dies kann sich in den nächsten Monaten im Extremfall grundlegend ändern. Denn die Ansteckungseffekte könnten bei einer zunehmenden Anzahl von großen Ausfällen deutlich heftiger ausfallen.

"Contagion" nennen Fachleute die Gefahren, wenn ein kranker Markt einen anderen ansteckt. Contagion ist ein Begriff aus der Seuchenforschung. Im gleichnamigen US-Film verbreitet sich ein Virus rasend schnell über die Luft weltweit aus. Contagion kann bei hoher „Virenlast“ und „Übertragbarkeit“ internationale Märkte überraschend schnell und massiv anstecken, warnt im Mai 2022 die Chef-Ökonomin der Weltbank, Carmen Reinhart. "Das Drama ist noch nicht vorbei", sagt Weltbank-Chef-Ökonomin Reinhart über die Folgen von Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen. "Den ersten Akt haben wir gesehen. Aber es wird weitere in diesem Krisentheater geben."

Die Aussichten sind düster", sagt der Risikovorstand einer europäischen Bank. Sein einziger Trost: „Die Gefahren für die Geldhäuser und Finanzmärkte kommen dieses Mal aus der Realwirtschaft und nicht wie etwa bei der Finanzkrise vor eineinhalb Jahrzehnten aus der Branche selbst. Anders als in der Finanzkrise 2008 oder bei der Pandemie 2021 ausgelösten Einbruch fallen die Zentralbanken jedoch als Retter aus. Denn wegen einer rasanten globalen Inflation müssen die Zentralbanken die Zinsen erhöhen. Das könnte gefährlich werden“.

Die alten Modelle zur Risikoeinschätzung stimmen mit der Realität des Immobilienmarktes in der Zeitenwende nicht mehr überein. Entwickler sowie Bauträger und auch Immobilienkonzerne fokussieren sich zu sehr auf alte und aktuelle Probleme. Die Macht der globalen Umbruchtrends wird national und regional unterschätzt. Auch werden die systemischen Zusammenhänge der Märkte und ihrer Dominoeffekte beim Risiko nicht eingepreist.

So wird nicht nur die Finanzierung von beim Bau notwendigen Rohstoffen schwierig. Auch die Beschaffung von Rohstoffen zur Produktion von Baumaterialien wird zunehmend schwierigerer. Die Rohstoffausfälle in der Ukraine und in Russland können nicht weltweit ersetzt werden. Auch lassen sich Rohstoffausfälle und Lieferkettenbrüche nicht durch die Ansiedlung weiterverarbeitender Industrien in Europa regulieren.

Gleichwohl werden zahlreiche deutsche Unternehmen ihre Lieferketten kürzen und Produktions- und Lagerflächen vermehrt ins Inland verlagern. Dadurch wird die Nachfrage nach Logistikimmobilien hierzulande noch weiter steigen. Dieser Meinung sind 96 % der von EY Real Estate für die diesjährige „Asset-Management- Studie“ mit dem Fokusthema Logistikimmobilien befragten führenden 35 Asset- und Logistikimmobilien-Manager.

Die meisten Institute wollen die Verwahrentgelte streichen, sollte die Europäische Zentralbank (EZB) demnächst die Strafzinsen abschaffen. Mit der Rückkehr der Zinsen eröffnen sich neue Möglichkeiten für Großanleger in Zeiten globaler und nationaler Verunsicherung. Dies wird das Investmentvolumen von Anlegern im Immobilienmarkt - in Korrelation zum Zinsanstieg - verändern.

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