Projektentwickler und Bauträger geraten derzeit unter Druck: Laut einer Umfrage des Immobilienverbands GdW unter 174 Unternehmen Ende April mussten 64 % der geförderten Wohnungsbau-Projekte zurückgestellt werden. 24 % sind gezwungen, den geplanten Bau neuer Mehrfamilienhäuser ganz aufzugeben. Die Hauptgründe sind:
- starke Kostensteigerungen für Baumaterialien
- gekapptes KfW-55-Förderprogramm
- Unklarheit über zukünftige Förderung
- fehlendes und überteuertes Bauland
- hoher Preisanstieg für Energie
- steigende Finanzierungskosten
- zu wenig verfügbare Facharbeiter
„Bereits 30 % der in Planung befindlichen Projektentwicklungen sind verschoben oder zum Teil sogar aufgegeben worden“, beobachtet Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden bei der Hamburg Commercial Bank (HCOB). „Sollte sich die aktuelle Baupreis- und Zinsentwicklung weiter fortsetzen, rechnen wir auch mit Insolvenzen bei der Projektentwicklung. Die extreme Dynamik der Preisspirale könnte sich für Projektentwickler existenzbedrohend auswirken. Projekte, die noch keine Bauverpflichtung haben, werden Entwickler ruhen lassen, sofern die Finanzierung dies zulässt.“
Die Wohnungsbranche fürchtet für 2022 wegen Coronapandemie und Ukrainekrieg einen Einbruch der Neubautätigkeit. Dies wird Folgen für die Immobilienpreise haben. Da voraussichtlich weniger neue Angebote als erhofft auf den Markt kommen, dürften sich private wie institutionelle Kaufinteressenten bei ihrer Suche noch mehr auf bestehende Gebäude konzentrieren.
„Die Nachfrage insbesondere nach Bestandsimmobilien wird deshalb extrem stark bleiben“, sagt Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Die Preise für Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser werden dieses Jahr voraussichtlich erneut um 6 % bis 7 % zulegen, prognostiziert der Verband.
Denn die Nachfrage nach Wohnungen ist weiterhin hoch. Der Wohnungsbedarf ließ sich nach Daten des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) bereits im ersten Halbjahr 2022 beobachten: Im Schnitt sind die Preise für Eigentumswohnungen um 10 % gestiegen.
Dennoch gehen immer mehr Analysten davon aus, dass der Boom trotz der Probleme beim Wohnungsbau allmählich seinen Zenit überschritten haben dürfte. Sollte der Neubau in 2023 wieder an Tempo gewinnen, könnte dies – zusammen mit steigenden Finanzierungskosten und Baupreisen – ein Ende der Preisrally bedeuten. Die meisten Experten sagen ein Ende der Boom-Phase für 2023/24 voraus.
Sukzessiv steigende Finanzierungskosten im Zuge der Zinswende könnten den Markt grundlegend verändern. Immobilienökonom Steffen Sebastian von der Universität Regensburg warnt zudem vor einem Stagflationsszenario: „Das Risiko einer kräftigen Preiskorrektur sehe ich dann, wenn die Zinsen weiter kräftig steigen, während die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt. Dann sind Preisrückgänge in einer Größenordnung von 20 % bis 25 % im Wohnungs-Neubau möglich. Die institutionellen Anleger sind bereits vielfach in Schockstarre und verhalten sich abwartend. Viele noch nicht finale Transaktionen wurden bereits auf Eis gelegt.“
Ein Selbstläufer wird der Immobilienkauf in den nächsten Jahren demnach nicht mehr. Besonders für Kapitalanleger wird es wichtiger als bisher, die richtige Region beim Kauf zu finden. Dabei ist Fingerspitzengefühl und Augenmaß gefragt. Denn der Markt teilt sich immer stärker in Gewinner und Verlierer auf. Eine der renommiertesten Untersuchungen hierzu liefert der jährliche Wohnatlas der Postbank, den das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) erstellt.
Anhaltende Preiszuwächse bis 2035 werden von den Experten der Postbank insbesondere im Süden Deutschlands, viele Großstädte, den Hamburger und Berliner Raum sowie das Weser-Ems-Gebiet vorhergesagt. Für die sieben Top-Städte in Deutschland prognostiziert die Studie ebenfalls weiter steigende Immobilienpreise – allerdings teilweise mit einem deutlich niedrigeren Plus als in den Vorjahren.
Außerhalb der Big Seven geht dem Boom allmählich die Luft aus. In Hamburg, mit dem derzeit dritthöchsten Kaufpreis steigen die Preise mit einem Zuwachs von real nur 0,5 % p.a. Damit mehren sich die Zeichen für ein Ende des starken Preiswachstums. Die Ökonomen der Deutschen Bank Research hatten bereits Anfang des Jahres eine Atempause beim Immobilienboom ab 2023/24 in den meisten Großstädten vorhergesagt.